
Die Pandemie hat eine Veränderung des Einkaufsverhaltens beschleunigt. Nicht nur die jüngere Zielgruppe, die Digital Natives, schätzen das bequeme Shoppen im Netz – ungebunden von Ort und Zeit. Und dennoch bleibt die Lust am haptischen Erlebnis der Produkte und der soziale Aspekt des Einkaufs im stationären Handel bestehen.
Wie müsste das Einkaufserlebnis gestaltet sein, damit die ganze Familie voller Vorfreude ihr Zuhause verlässt, um in der Innenstadt beim stationären Einzelhändler gemeinsame Zeit zu verbringen? Der Fokus sollte in jedem Fall auf dem Unterhaltungswert und der emotionalen Ansprache liegen, und erst in zweiter Linie auf der Ware. Das bedeutet, dass sich die Priorität vieler Fachhändler ändern muss. Denn aktuell steht häufig die Ware oder der Kauf und nicht die Kundschaft im Mittelpunkt aller Bemühungen.
Jede Menge Produkte und Serviceleistungen bekommen Kunden auch im Internet und zusätzlich die Möglichkeit Preise zu vergleichen, Erfahrungsberichte zu recherchieren und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Allerdings fehlt die Haptik und das 3-D Gefühl, live und unabhängig von Cookies und Algorithmen zu shoppen. Doch wie wird der analoge Einkauf zum sinnlichen Erlebnis?
Bevor der Blick auf die Ware fällt, wird der Raum als Gesamtbild wahrgenommen. Ein ausschließlich funktionaler Ladenbau wird dabei wenig Emotionalität und Begeisterung hervorrufen. Ist das Raumkonzept aber in einem spannenden Farbschema gestaltet oder wird ein Trend wie Nachhaltigkeit, mit klimaneutralem Ladenbau oder Minimalismus mit natürlichen Materialen und traditioneller Handwerkskunst umgesetzt, hat das Geschäft ein Alleinstellungsmerkmal. Die Liebe vieler Menschen zur Natur lässt sich mit einer begrünten Wand, Birkenstämmen oder einer ausgefallenen Inszenierung mit Zimmerpflanzen umsetzen. Damit ist nicht ein einzelnes Pflänzchen am Kassentresen gemeint, sondern ein ausgefeiltes Gesamtkonzept mit Wow-Effekt.
Passend zu unterschiedlichen Zielgruppen können im Verkaufsraum verschiedene Home-Office-Räume gestaltet werden, in denen die Ware völlig anders als im herkömmlichen Regal präsentiert wird. Das kann auch in Zusammenarbeit mit einem Möbelhaus oder Bloggern geschehen. Ein großer Tisch steht zu bestimmten Zeiten im Geschäft Digital Nomads als eine Art Co-Working Space mit kostenfreiem W-LAN zur Verfügung. Zu anderen Zeiten wird der Tisch als Treffpunkt oder für andere Veranstaltungen genutzt. Wer auf Qualität und hochwertige Materialien setzt, richtet vielleicht eine kleine Café-Bar ein und überrascht mit ausgefallenen Kaffeesorten und Naschereien. Die Kunden müssen Lust auf eine Entdeckungsreise bekommen, wenn sie die Raumgestaltung als ganzheitliches Bild mit einer erkennbaren Idee erleben.
Eine Skulptur aus Bleistiften, eine Hängematte für eine 5 Minuten-Auszeit-vom-Alltag, ein Selfie-Point vor einer großen Tafel, die man mit einem Gruß an einen lieben Menschen beschreiben kann, ein Springbrunnen, eine Wandgestaltung mit Origami-Objekten oder ein Mobile mit Hunderten von Kunden gefalteten Papierfliegern – positive Überraschungen werden als Glücksmomente im Unterbewusstsein abgespeichert und als Erinnerung mit dem Geschäft verknüpft.
Ein ordentlicher, sauberer und aufgeräumter Verkaufsraum ist die Grundlage jeder Wohlfühlatmosphäre. Natürliche Materialien wie Holz oder Stein und ein durchdachtes Lichtkonzept entschleunigen und entspannen. Genügend Verkaufspersonal, das gut gelaunt ist und für seine Produkte brennt, ist inzwischen ein Alleinstellungsmerkmal. Ebenso wie in den unterschiedlichen Communitys im Internet sollte der Kundenberater die Sprache der Konsumenten sprechen und Lust auf einen Austausch mit ihnen haben. Dies ist unersetzlich und ein entscheidender Grund dafür, ob der Käufer wieder kommt und idealerweise im Web darüber berichtet. Wer offline einkauft, möchte mit anderen Menschen kommunizieren und nicht mit einem Bildschirm oder nur auf sich selbst gestellt sein.
Der Fachhändler muss kompetenter Partner sein und braucht eine große Portion Fingerspitzengefühl, um zu erkennen, ob der Kunde nur schnell einen Bedarfskauf erledigen möchte oder Zeit für einen Plausch hat. Ob er Rat sucht, Bestätigung für seine bereits im Internet getroffene Kaufentscheidung braucht oder sich mit einem besonderen Stück belohnen möchte und diese Trophäe mit einem Hochgefühl nach Hause trägt.
Menschen mögen Menschen, Menschen mögen bequeme Lösungen und Menschen mögen Emotionen und Glücksgefühle. Je nach Situation, Lust und Laune wird zukünftig online und/oder analog eingekauft. Das lässt sich verbinden über einen eigenen Blog im Web und ein emotionales Einkaufserlebnis für alle Sinne vor Ort oder durch Click and Collect. Denn Fachgeschäfte, die beide Welten verbinden, werden ihre Kunden begeistern.
Über die Autorin:
Sabine Gauditz ist Expertin für visuelles Marketing im Einzelhandel. Seit 1986 gestaltet und arrangiert sie für verschiedene Branchen verkaufsfördernde Produktpräsentationen und gestaltet das Ambiente von Verkaufsräumen neu. Gemeinsam mit Hans Schmidt gründete sie 2002 das Beratungsunternehmen für visuelles Marketing, Arte Perfectum. Seitdem führt sie Seminare und Workshops durch und bietet Inhouse-Beratungen an.