
Zeichnen und schreiben zählen zu den ältesten Kulturtechniken der Menschheit. Man denke nur an die Höhlenmalereien in Chauvet in Frankreich und Altamira in Spanien. Droht der Handschrift nun der Garaus, weil wir nur noch wischen und tippen? Von wegen! Hochwertige Füller, trendige Schreibgeräte und exklusive Papeterieprodukte liegen im Trend. Eine wichtige Rolle bei der Kundenansprache spielen das Produkt- und Verpackungsdesign.
Zahlen lügen nicht, auch wenn Statistiken gerne standortbezogen interpretiert werden. Zahlen spiegeln zwar auch nicht immer unbedingt Trends wider, sind aber gute Indikatoren für die Marktentwicklung einzelner Branchen. Anlässlich seiner Herbsttagung 2019 meldete der Verband der PBS-Markenindustrie „eine insgesamt positive wirtschaftliche Entwicklung“, von der auch das Schreiben profitierte. Das Segment legte in Deutschland innerhalb der ersten neun Monate um 2,4 Prozent zu.
Wie wichtig dabei nachhaltige Geschäftsmodelle und Produktkonzepte sind, um sich von Me-too-Produkten abzuheben, zeigt der Marktführer bei Schul- und Jugendfüllern, LAMY. 2010 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 50 Mio. €; 2017 betrugen die Umsatzerlöse 131 Mio. €. Der Untergang von Bleistift, Füller und Kugelschreiber dürfte anders aussehen. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Verwandlung der Welt in binäre Codes entdeckt der „homo digitalis“ anscheinend sein anthropologisches Erbe.
Das Heidelberger Unternehmen steht aber für weit mehr als nur für wirtschaftlichen Erfolg. Mit LAMY ist auch die Geschichte des modernen deutschen Schreibgerätedesigns untrennbar verbunden. Der LAMY 2000 aus der Feder von Gerd A. Müller schrieb 1966 Designgeschichte. Noch heute gilt der Klassiker, von dem zum Bauhaus-Jubiläum 2019 ein limitiertes Set mit Notizbuch auf den Markt kam, als eines der modernsten Schreibgeräte. Mit seiner zeitlosen, schlichten Formensprache erfüllt der Füllhalter genau das, was der vielfach ausgezeichnete Designer, der Italiener Antonio Citterio, einmal über seine Arbeit sagte, die ihn bis ins MOMA führte: „Wenn meine Arbeit zu Saisonware oder einem Wegwerfprodukt verkommt, empfände ich das als Katastrophe.“ Mit dem LAMY safari zog Anfang der Achtziger Jahre dann die „gute Form“ ins Segment der Schul- und Jugendschreibgeräte ein. 47 Jahre bevor mit dem Green Produkt Award erstmals innovative und nachhaltige Produkte ausgezeichnet wurden, setzte ein Schreibgerätehersteller bereits Maßstäbe in punkto Langlebigkeit.
Die Geschichte des Schreibgerätedesigns reicht allerdings bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück. Im „Süddeutsche Zeitung Magazin“ erschienen in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut im April 2003 unter dem Titel „Denkmale deutschen Designs“ ausgezeichnete Gebrauchsgegenstände, die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und vielen Menschen über die Grenzen Deutschlands vertraut sind. Das erfolgreichste Kinderauto der Welt, das Bobby Car, fand ebenso Eingang in die Hall of Fame wie der 1905 entworfene sechseckige Bleistift „Castell 9000“ von Faber-Castell. Er wird unverändert produziert. Die Liste der Designauszeichnungen für Faber-Castell ist inzwischen lang. 2020 gewann das Unternehmen (Motto: „Gewöhnliche Dinge außergewöhnlich gut zu machen.“) für seinen Grip Füller den German Design Award 2020 in der Kategorie „Excellent Product Design“. Die Jury, bestehend aus Experten unterschiedlicher Disziplinen, würdigte die „herausragende Designqualität“. Der Grip Füller ist als täglicher Begleiter für Schüler, Teenager, Young Professionals gedacht, der durch sein charakteristisches Noppen-Design und die ergonomische Soft-Griffzone aus der üblichen Konfektionsware herausfällt.
Es sind nicht nur LAMY und Faber-Castell, die auf Design und hochwertige Schreibgeräte als Differenzierungsmerkmal setzen. Diverse andere Hersteller folgten, entdeckten die identitätsfördernde Kraft des Designs für ihre Markenbildung. STABILO, eine Marke der Schwan-STABILO-Gruppe, räumt seit Anfang der Achtziger Jahre regelmäßig Designpreise ab, zuletzt mit dem EASYbuddy, der für Rechts- und Linkshänder gleichermaßen geeignet ist. Carolin Vollrath, International Digital Sales-Marketing/Communication der STABILO International GmbH: "Das Design hat bei unseren Produkten durchaus einen hohen Stellenwert. Produktnamen werden vom Konsumenten häufig nicht erinnert, daher ist ein eindeutig wiedererkennbares Design von großem Vorteil. Viele STABILO Produkte sind alleine an ihrem markanten Umriss zu erkennen. Klassiker wie STABILO BOSS ORIGINAL und STABILO point 88 gelten auch in den Augen der Konsumenten als Design-Ikonen."
Auch Pelikan, berühmt geworden durch die Erfindung der Kolbenmechanik, kann auf eine Reihe von „Klassikern“ blicken. Das „Modell 400“, 1950 eingeführt und unter „Stresemann“ bekannt, gilt mit seinem schwarz-grünen Mantel nach wie vor als Inbegriff der Marke. Der Kolbenfüller ist zwar im Laufe der letzten 70 Jahre hinsichtlich Design und Technik weiterentwickelt worden, seine zentrale Rolle als Botschafter hat er bis heute behalten. Auch Pelikan erhielt für seine Schreibgeräte zahlreiche Designpreise, zuletzt 2017 den German Design Award für Stola III, der als „Basis für einen erfolgreichen Start in die Geschäftswelt“ entwickelt wurde. Der Füller steht für „zuverlässige Qualität, beste Funktionalität und ein außergewöhnliches Design.“
Mit designorientierten Schreibgeräten für Schüler, Jugendliche und Junggebliebene will ONLINE zum Trendsetter für Design Lifestyle und Freude am Schreiben punkten. Das erfordert allerdings angesichts der Breite des Sortiments individuelle, zielgruppengenaue Antworten, weshalb man hier auch nicht von einem durchgängigen „Stil“ sprechen kann. „Junges Schreiben“ erfordert eben in Optik und Haptik etwas anderes als „Edles Schreiben“. Seit knapp 20 Jahren lobt das 1991 gegründete Unternehmen einen Designwettbewerb für Endverbraucher aus. Er sei ein wichtiges Instrument, um Trends im Markt aufzuspüren, wie Sebastian Preischl, Teamleitung Marketing Online, glaubt: „Der Designwettbewerb dient in erster Linie als Dialog mit Kunden.“
Produktinnovationen und modernes Design reichen allein nicht mehr aus, um am Point of Sale zu punkten. Das Verpackungsdesign hat immer stärker die Rolle eines Trägers von Markenbotschaften übernommen. Zugleich ist es auch ein Indikator für die Produktqualität. Auf der Insight-X stellte die Staedtler Mars GmbH & Co. KG ihr „Design Journey Sortiment“ vor. Die Range will Anfängern wie fortgeschrittenen Hobbykünstlern eine breite Auswahl von Produkten bieten, um sie auf eine „kreative Entdeckungsreise“ zu schicken. Wer nun glaubt, das Sortiment enthält neue, innovative Stifte für „Early Beginner“, sieht sich getäuscht. Die Sets kombinieren bewährte Produkte und Klassiker mit einem besonders markanten, lustmachenden Verpackungsdesign, sodass auch jene Einsteiger zugreifen, die sonst bei Begriffen wie „Künstler-Bleistifte“ oder „Künstler-Farbstifte“ eher reserviert wären. Mit dem Concrete Kugelschreiber setzte das Unternehmen auch beim Produktdesign ein Ausrufezeichen. Der Kugelschreiber wird aus Beton gegossen. Laut Hersteller verkörpert er „die perfekte Kombination aus Design und Komfort“.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie Hersteller Verpackung für die Kommunikation einsetzen, liefert Edding. Die Colour Happy Big Box erhielt den Design Award 2019 in der Kategorie Packaging. Die grafischen Muster sollen zum Ausprobieren einladen, heißt es. Im Klartext: Das Produkt darf zwar weiterhin der Star sein, aber selbst ein Star kommt heute nicht mehr ohne „schönen Schein“ aus.
Über den Autor
Ulrich Texter, ein Liebhaber von Design, schreibt seit vielen Jahren über den Lebensraum Büro. Vor allem sorgt er als Chefredakteur des Fachmagazins Planet Toys für Durchblick im Spielzeugdschungel und -handel. Er arbeitet auch als freier Journalist für das Online-Magazin der Spielwarenmesse® Spirit of Play. Schreiben ist eins der zahlreichen Leben von Ulrich Texter, das zweite das des Kulturmanagers, der Autorenlesungen und Literatur-Events organisiert sowie einen Kinderliteraturpreis für Debütwerke auslobt.