
Dr. Frank Danzinger leitet die Abteilung Innovation and Transformation der Nürnberger Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services SCS. Unter anderem hat der Experte für Kundeneinbindung im Innovationsprozess auch das offene Innovationslabor Josephs in Nürnberg mitgestaltet. Aus diesem Blickwinkel begleitet Danzinger ebenso Aspekte der Zukunft des Handels.
Herr Dr. Danzinger, sorgt die Corona-Pandemie nach einer ersten Schockstarre im Handel für mehr Mut bei digitalisierten Geschäftsmodellen?
Dr. Frank Danzinger: Die Corona-Krise liegt wie ein Brennglas auf Entwicklungen, die wir vorher schon beobachten konnten. Wir haben schon seit Jahren hohe Zuwächse beim Online-Geschäft, gleichzeitig sinkt die Kundenfrequenz im stationären Geschäft. Diese beiden Trends hat der Coronavirus beschleunigt und verschärft. Erste Beobachtungen legen nahe, dass zumindest der bereits investierte Mut für einzelne Händler und Händlerinnen sich durch höhere digitale Sichtbarkeit und zumindest teilweise kompensierende Online-Umsätze auszahlt.
Sie forschen eher an der technischen Seite von Prozessinnovationen. Können Sie trotzdem sagen, warum der Handel in der Breite digitalen Geschäftsmodellen hinterherhinkt?
F. D.: Zum einen gab es im Einzelhandel sehr lange ein sehr gut funktionierendes Geschäftsmodell und nach wie vor werden dort gute Umsätze getätigt. Zum anderen versprechen manchmal neue Technologien am Anfang zu viel oder sind noch nicht lastfähig genug für das operative Geschäft. Diese Bedenken konnten wir auch in dem Nürnberger Test- und Innovationslabor, Josephs, wahrnehmen. Ich glaube, der Handel fremdelt teils mit den neuen Technologien, weil man auch bisher gut ohne ausgekommen ist. Andererseits finden Innovationen im stationären Handel harte Bedingungen vor.
Wären kleine, experimentelle Schritte mit zum Beispiel mobilen Kassensystemen oder einer kleinen Version von Big Data der bessere Einstieg?
F. D.: In etablierten Unternehmen mit ihren Mitarbeitern kann man nicht alles auf einen Schlag ändern. Man muss sich aber weiterentwickeln und auch experimentieren. Es geht darum, neue Technologien und Möglichkeiten systematisch auszuprobieren. So lässt sich feststellen, ob es zu dem Geschäftsmodell eines Händlers passt oder ob man es lieber verwerfen sollte. Solche Schritte kann man sich von anderen Industriebranchen mit ihrem teils standardisierten Business Development oder Innovationsmanagement abschauen. Für den Handel geht es darum, erfolgreiche Dinge zu digitalisieren, damit sie noch besser für den Händler und den Kunden laufen.
Aus der Industrie kennen wir das Nadelöhr Mitarbeiter. Von welchen Erfahrungen dort kann der Handel profitieren?
F. D.: Es gibt eine ganze Menge an positiven und negativen Erfahrungen. Immer mehr werden Mitarbeiter in solchen Prozessen auch als Inspirationsquelle eingebunden. In manchen Fällen verfügen Mitarbeiter über Spezialwissen, dass sich der Unternehmer so erschließen kann. Aber solche Einbindungsprozesse hängen deutlich von der gesamten Mitarbeiterkultur ab. Mitarbeiter mit 450 Euro-Jobs machen sich tendenziell weniger Gedanken und erwidern auch ein Vertrauens- und Einbindungsangebot eher verhalten. Menschen in einer sehr standardisierten Umgebung, wo klar geregelt ist, was dort passiert, fällt es schwerer, an den Grundfesten ihrer vertrauten Arbeitsabläufe mit zu rütteln. Ausprobieren und Experimentieren sind Kompetenzen, die auch Mitarbeiter erlernen müssen. Ebenso müssen Führungskräfte lernen, technologische Potenziale zu erkennen. Wenn sie gemeinsam mit Mitarbeitern daraus neue Prozesse, Dienstleistungen und Produkte machen, müssen Führungskräfte aber auch mit dem „Kontrollverlust“ zurechtkommen, der damit einhergeht.
Sollen in Zukunft – in Zeiten nach Corona – gerade Innenstadthändler die Cities als Erlebnis- und Lebensraum mitgestalten?
F. D.: Der Zukunftsbegriff ist für Händler relativ. Ich war mal als Referent für den Zukunftsteil eines Kongresses eingeladen. In diesem Slot fesselte ein anderer Redner die Teilnehmer mit der Zukunft der nächsten Schaufenstergestaltung. Das Spektrum reichte also von der nächsten Saison bis zum Einsatz von Roboter im Handel. Es geht aber nicht um entweder oder sondern um beides, also auch um die Aufgaben nach Corona. Zukünftig müssen Innenstädte als Experimentierflächen verstanden werden. Händler müssen Innenstädte als abwechslungsreichen Begegnungsraum mitgestalten, dadurch entstehen wieder eigene Mehrwerte und Identitäten. Weniger Uniformität, sondern Vielfalt durch Handels- und Dienstleistungsangebote. Das hat schon immer den Reiz der Städte ausgemacht und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Über den Autor
Thomas Tjiang ist freier Wirtschafts- und Lokaljournalist, Referent und Kommunikationsberater. Seit Anfang der 1990er Jahre hat er für alle Medientypen, wie Tages- und Monatspresse, Hörfunk, TV, Nachrichtenagentur und Online-Redaktionen gearbeitet. Der Literatur- und Kommunikationswissenschaftler lebt seit über 30 Jahren in Nürnberg.