
Bei allen Katastrophen, die Corona über uns gebracht hat: Es war ein ganz besonderer Booster für die Digitalisierung und das quer durch alle Branchen. Homeschooling war seit Einführung der allgemeinen Schulpflicht verboten. Jetzt ist das Schulsystem ohne nicht mehr funktionsfähig und viele Arbeitgeber haben sich mit dem Thema Homeoffice angefreundet. Händler im Lockdown haben gelernt, dass die Kundenaktivierung im digitalen Bereich ein wichtiger Erfolgsfaktor geworden ist. Jetzt heißt es loslegen.
Aber Achtung: Eine bestimmte Vorgehensweise sollte eingehalten werden. Wir zeigen anhand der digitalen Bedürfnispyramide, was zu beachten ist.
Stufe 1) Die Kombination Warenwirtschaft/Kasse
Gut 30 - 40% der rund 250.000 inhabergeführten Handelsstandorte in Deutschland verfügen über kein Warenwirtschaftssystem, wobei ein Kassensystem gesetzlich vorgeschrieben ist. In den Augen vieler Experten ist eine Warenwirtschaft der wichtigste Baustein für den Unternehmenserfolg. Sie generiert aus den enthaltenen Daten Informationen, mittels derer das Unternehmen gesteuert wird: Informationen über Warenbestände, Lagerplätze, Kapitalbindung, Lieferanten und Bestellabwicklung sind auf Knopfdruck zu bekommen. Wer professionell und vor allem zukunftsgewandt sein Format entwickeln will, kommt um diese Infrastruktur nicht herum. Händler brauchen Daten über sich selbst. Ohne zu wissen, wo man gerade steht, ist es nicht möglich zu sagen, welchen Weg man geht.
Stufe 2) Kundeninformationen
Wer nichts über seine Kunden weiß, kann sie auch nicht effektiv aktivieren. Basis dafür ist eine gute Kundendatenbank, die oft schon in vielen Warenwirtschaftssystemen integriert ist. Wissen Händler, welche Person welches Kaufverhalten hat, können sie über verschiedene Kanäle personalisierte Angebote zur Aktivierung an die Kunden senden.
Stufe 3) Webseite und Google my Business
Eine eigene Webseite ist ein Muss. Gut 38% der Kunden bereiten ihren stationären Einkauf online vor, und da kommt Google ins Spiel. Händler können sich einen eigenen Google my Business-Eintrag anlegen, wodurch eine gesunde Grundsichtbarkeit entsteht. Google weiß dann zumindest schon einmal, dass man existiert. Mit dem Programm Grow my Store ist es möglich die eigene Webseite kostenlos analysieren zu lassen. Anschließend werden Vorschläge unterbreitet, wie die digitale Sichtbarkeit verbessert werden kann.
Stufe 4) Soziale Medien
Wer verkaufen will, kämpft zuerst einmal um Sichtbarkeit. Wer nicht gesehen wird, bei dem wird auch nicht gekauft. Daher ist es sehr wichtig, dass Händler versuchen dort zu sein, wo die Menschen eh schon sind: In den sozialen Medien. Nie war es leichter Kontakt zu einer potenziellen Kundengruppe zu bekommen und sie über die eigene Leistungsfähigkeit zu informieren. Zugleich ist die Auswertung der Zielgruppenansprache sehr einfach und effizient - es lohnt sich!
Stufe 5) Vernetzen Sie sich gut
Wenn die Basis der Digitalisierung geschafft ist, geht es weiter mit der Vernetzung zu anderen Händlern oder Services. Anlassbezogener Konsum ist hier das Zauberwort, so kann beispielsweise eine digitale Tour zum Thema Schulstart organisiert werden. Der Spielwaren- und Süßigkeitenhändler für die Schultüte, der Frisör, das Kleidungsgeschäft für ein gutes Styling und ein Fotograf können sich mit dem virtuellen Gesamtservice zu einer Angebotsgemeinschaft zusammenschließen.
Stufe 6) Verkaufen Sie auf einem Marktplatz
Wer endlich einen guten digitalen Reifegrad erreicht hat, kann auch im Web verkaufen. Der erste Schritt sollte über einen Marktplatz gehen, der oft in wenigen Schritten erledigt ist. Dazu bieten fast alle Anbieter gute Schulungsvideos zum leichten Einstieg an. Dabei gibt es verschiedene Servicebreiten: Auf Wunsch übernehmen einige Anbieter das gesamte Fulfillment einer Bestellung bis zur Lieferung, was sich natürlich in den Provisionen niederschlägt.
Stufe 7) Der eigene Onlineshop
Im eigenen Onlineshop ist man sein eigener Herr im Hause - aber auch mit allen Verantwortlichkeiten! Händler müssen die Technik des Shopsystems kennen, sich mit Suchmaschinenoptimierung auseinandersetzen und zugleich das Marketing gestalten. Das bedeutet natürlich einen gewissen Aufwand. Der Vorteil ist aber, dass Händler einen komplett neuen Vertriebskanal bespielen und Kundengruppen aktivieren, die bis dato nicht erreicht wurden.
Wer es strategisch und operativ konsequent angeht, macht die richtigen Schritte in Richtung Zukunftsfähigkeit. Leider ist oft zu beobachten, dass die genannte Reihenfolge nicht eingehalten wird. Speziell in der Corona Zeit wurden viele Händler auf Marktplätze gelockt, ohne über die digitale Grundreife zu verfügen. Wenn das nicht erfolgreich war, entstand viel Frust und plötzlich ist die Digitalisierung an allem schuld.
Die digitale Präsenz muss ständig befeuert werden. Gerade in der Anfangszeit, wenn die digitale Reputation noch nicht so ausgeprägt ist, ist nachhelfen angesagt. Begeistern Sie die Kunden über Coupons, Gewinnspiele, Gutscheine in Newslettern oder über andere Kommunikationswege für das Angebot. Das nennt man dann Community-Arbeit: Macht nicht die Kunden zu Fans, sondern werdet Fan Eurer Kunden - und zeigt es Ihnen!
Über den Autor:
Frank Rehme ist erfahrener Retail-, Multi-Channel- und Innovation-Experte. Als langjähriger Innovationsmanager eines DAX30-Handelskonzerns hat er national und international Maßstäbe im Handelsumfeld gesetzt. Seit 2013 ist er Gründer und Gesellschafter der gmvteam GmbH und unterstützt New Commerce Initiativen des Handels und der Industrie. Er ist Mitgründer des Informationsdienstes www.zukunftdeseinkaufens.de für Innovationen im stationären Handel. Als Teil der Mittelstand-Digital-Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie ist Frank Rehme seit 2019 Geschäftsführer des Mittelstand 4.0. Kompetenzzentrums, das v. a. kleine und mittlere Händler und Unternehmen individuell über Wege zur Digitalisierung informiert und praxisnah unterstützt.