
Der Fachhandel mit kreativem Mehrwert ist kein analoger Verkaufsraum, sondern eine Ideenschmiede: Händler helfen ihren Kunden über das Warenangebot hinaus, die Produkte mit allen Sinnen live zu erleben. Das Geschäft wird zum Lieblingsort – es weckt den Wunsch, selbst kreativ zu werden und zu verweilen.
Die DIY-Welle ist ungebrochen. Es wird getöpfert, genäht, das Zuhause gepimpt und die Gartenparty mit einer selbst gestalteten Tischdeko inszeniert. Allerdings hat nicht jeder in den eigenen vier Wänden genügend Platz, um seine Kreativität auszuleben. Und zusammen mit Gleichgesinnten zu werkeln, macht meist sowieso mehr Spaß. Beste Voraussetzungen, um den Verkaufsraum gleichzeitig zum Platz der Umsetzung zu machen – im Idealfall während der gesamten Öffnungszeit.
Wer aus seinem Fachgeschäft einen DIY-Treffpunkt machen will, stellt bei der Raumplanung nicht die Ware in den Mittelpunkt, sondern die Arbeitsfläche. Beispielsweise könnte ein großer Tisch im Zentrum des Geschäftes die Kunden dazu einladen nach Lust und Laune selbst kreativ zu sein. Vielleicht gibt es auch einen Nebenraum, der zum Atelier auf Zeit (gegen einen Unkostenbeitrag) von Kunden gebucht werden kann. Oder die Geschäftsleitung probiert die Idee mit einer Pop-Up Kreativ-Werkstatt in einem leerstehenden Geschäft in der Nachbarschaft erst einmal aus, bevor das eigene Geschäft umgestaltet wird.
Ein großer gebrauchter Holztisch, oder unterschiedliche kleinere Tische, verschiedene Stühle im Upcycling-Look, Werkzeug, dass über den Tisch in Körben oder an Haken von der Decke hängt und fertige Objekte in einem freistehenden Regal an der Stirnseite des Tisches, bilden eine kreative Basis. Mit der Farbpalette Weiß und Anthrazit entsteht das Ambiente eines Design-Studio und mit bunten Farben und Mustern ist die Atmosphäre fröhlich und ungezwungen - je nach Zielgruppe eben. Neben funktionalen Aspekten, wie ein pflegeleichter Bodenbelag und gutes Licht, sollte der visuelle Auftritt der Kreativ-Werkstatt vom Boden bis zur Decke bei der Planung im Mittelpunkt stehen.
Bastelvorführungen und Workshops sind im Kreativbereich nichts Neues und nach wie vor beliebt. Die Möglichkeit, in einem Geschäft spontan die Produkte auszuprobieren und eine Idee gleich umzusetzen, ist hingegen selten gegeben. Wer in seiner Mittagspause ohne Voranmeldung am Arbeitstisch Platz nehmen kann oder schon fertige Materialpakete mit einer entsprechenden Anleitung in den Regalen findet, kann sofort loslegen. Wer nicht fertig wird, bekommt eine Box und das Projekt wird bis zur Fertigstellung im Geschäft aufbewahrt. Jemand der fachkundig mit Rat und Tat zur Seite steht ist immer im Geschäft zu finden. Denn kompetente, kreative und geschulte Mitarbeiter sind besser als jeder Online-Shop. Für spezielle Themenbereiche, wie Töpfern, Stricken, Nähen, Aquarellmalen usw., gibt es feste Beratungszeiten.
Der Fachhandel stellt nicht nur das Material und den Arbeitsraum, er liefert auch die Idee. Wie wäre es z.B. mit einem Vater-Sohn Kreativ-Tag mit Papierdrachen oder Holzboot bauen und Brause zum Anstoßen auf das fertige Projekt, mit einem Mädelsabend inklusive einem Glas Prosecco, mit einem Großeltern-Enkelkind Nachmittag oder mit dem „Kopf-frei-Feierabend“ Treff?
Die Kundschaft kann Kreativtüten für Schlechtwetter-Nachmittage oder gegen Alltagsfrust kaufen, und die enthaltenen Projekte direkt vor Ort oder zu Hause umsetzen.
Wer sich Verbündete und Hilfe bei der Umsetzung sucht, spart Kraft und erzielt eine größere Reichweite. Vielleicht finden sich regionale Künstler, die sich bei der Arbeit über die Schulter schauen lassen oder Raum bzw. Tisch für einen eigenen Kurs nutzen. Eventuell lässt sich eine Bloggerin gewinnen, die ihre Follower zum Live-Event einlädt oder eine Kundin die Lust hat, ihr Können mit anderen zu teilen und dafür einen Materialgutschein vom Händler zu bekommen.
Wenn es ein Café in der Einkaufsstraße gibt, könnte es die „To go“ oder Liefermöglichkeit von Getränken für den Stricknachmittag geben und umgekehrt könnten die „In einer Stunde fertig“ Basteltüten auf Bestellung in das Café geliefert werden. So wird die Arbeit geteilt und die Werbebotschaft verdoppelt, denn jeder wirbt bei seinem Publikum bzw. Bekanntenkreis für das Projekt.
Wo kaufen die Kunden lieber ein – dort wo sie Ware bekommen oder dort wo sie Ware inklusiveIdeen undeinen Raum für ihre Wünsche und Bedürfnisse finden? Der Fachhändler, der es versteht, den Wunsch nach eigener Kreativität zu wecken, gewinnt. Wer in seinem Schaufenster nicht nur Ware zeigt wie beispielswiese Farben und Pinsel, sondern das fertige Bild fürs Homeoffice und die Möglichkeit der Umsetzung im Geschäft bietet (natürlich gegen einen Unkostenbeitrag/Kursgebühr) macht aus Passanten Kunden. Die Kunst ist, mit Newsletter, Social Media, einer aktuellen Webseite und Serviceangeboten mit seinen Kunden, über den Verkaufsraum hinaus in Kontakt zu bleiben. Wer außerdem Projekt-Pakete samt Material und Werkzeug zur bequemen Click&Collect Bestellung oder zum Schulanfang schnürt, kann Hobbyisten oder Familien von Schulkindern bei der Abholung im Geschäft weiter inspirieren. So machen sich stationäre Händler zur ersten Anlaufstelle für den Einkauf.
Über die Autorin:
Sabine Gauditz ist Expertin für visuelles Marketing im Handel. Für unterschiedliche Branchen konzipiert und arrangiert sie seit 1986 verkaufsaktive Warenpräsentationen und gestaltet das Ambiente von Verkaufsräumen neu. Die Beratungsfirma für visuelles Marketing, Arte Perfectum, gründete sie 2002 gemeinsam mit Hans Schmidt. Seitdem leitet sie Seminare und Workshops und bietet Inhouse-Beratungen an.