
Über die Hälfte der Händler in den Innenstädten berichtet von sinkenden und nicht zufriedenstellenden Kundenfrequenzen. Der Verkehrsinfarkt hält viele Kunden ab, für Einkäufe in die Stadtmitte zu fahren. Dazu hat der Handelsverband Deutschland (HDE) den 11-Punkte-Plan „Gute Politik für attraktive Innenstädte“ aufgestellt. Er umfasst Förder-Maßnahmen der Politik, um den Verkehrsinfarkt zu vermeiden. Der Verband stellt sich bei diesem Punkt beispielsweise eine Entzerrung des Straßenverkehrs zu Stoßzeiten tagsüber vor, denkt aber auch an leichter genehmigte Nachtanlieferungen. Zudem gelten City-Hubs als eine geeignete Maßnahme, um Warenströme in den hochverdichteten Stadtbereichen besser zu verteilen.
Der Hoffnungsträger für die innerstädtische Warenlogistik ist das Lastenrad. Seit Jahren werden in den Großstädten Pilotprojekte durchgeführt und Erfahrungen gesammelt. Das Zwischenfazit fällt so positiv aus, dass der deutsche Bundesverkehrsminister Andi Scheuer noch im letzten Jahr das Potenzial für die Cargobikes auf einen Lieferanteil von 20 Prozent taxierte. Damit könnte im Schnitt jeder fünfte Liefer-Lkw ersetzt werden und so das Leid der Kunden, die mit dem Auto zum Einkaufen oder Flanieren in die Innenstadt fahren, reduziert werden. Denn um das haptische Erlebnis der stationären Händler erleben zu können, müssen sie auch praktisch gut erreichbar sein. Schließlich gilt als Daumenregel: Der Güterverkehr macht 20 bis 30 Prozent des Stadtverkehrs aus, verursacht aber etwa 80 Prozent der innerstädtischen Staus in Stoßzeiten.
Das E-Lastenrad hat zwar nur eine begrenzte Reichweite und ein vergleichsweise kleines Ladevolumen. Gerade in Stadtteilen mit hoher Empfängerdichte spielt das aber nur eine geringe Rolle. Kombiniert mit mobilen oder stationären sogenannten Micro-Depots der Kurier-, Express-, Paket-Branche lässt sich dieses Logistik-Konzept optimal umsetzen.
Der Einsatz von Lastenrädern auf der letzten Meile ist umweltfreundlich, da Fahrten mit konventionellen Lieferfahrzeugen ersetzt werden. Für das klimapolitische Ziel der CO2-Reduzierung fällt die Bilanz noch besser aus, wenn die Batterie der E-Cargobikes mit grünem Strom geladen wird. Das Berliner Modellprojekt KoMoDo im Stadtteil Prenzlauer Berg bezifferte die Einsparung mit rund elf Tonnen CO2 im Vergleich zu konventionellen Zustellfahrzeugen.
Der Nürnberger TH-Professor Ralf Bogdanski, einer der treibenden Experten für die nachhaltige Stadtlogistik, erfüllt das Lastenrad drei Aspekte: „Wirtschaftlichkeit für die Unternehmen, ökologische Verträglichkeit für die Umwelt und soziale Nachhaltigkeit für die Fahrer.“ Für den innovativen Verkehrs-Professor ist aber entgegen mancher Bürgermeinung klar: Der Wirtschaftsverkehr könne zwar weniger werden, letztlich sei es aber ein „unvermeidbarer Verkehr“. Immerhin sieht Bogdanski das Potenzial der E-Lastenräder bei „30 Prozent des urbanen Sendungsaufkommen“.
Damit Händler ihre Schreibgeräte, Krawatten oder Küchenmaschinen pünktlich per Lastenrad bekommen, sind allerdings Micro-Depots notwendig. Dort werden nicht nur die Waren für die Zustellung auf der letzten Meile zwischengelagert, dort werden auch die E-Lastenräder aufgeladen und über Nacht abgestellt. Die Tücke dabei: In eng besiedelten Geschäftsvierteln ist die entsprechende Fläche knapp und für eine Logistikfläche oft zu teuer. Daher können Micro-Depots nur durch Händlerinitiativen und einer planungsrechtlichen Unterstützung durch die Kommunen im ausreichenden Umfang realisiert werden. Mobile Depots in Form von Containern oder abgestellten Lkws haben den Nachteil, dass sie ebenfalls knappe innerstädtische Stellfläche blockieren.
Für die dann nötigen Flotten an E-Lastenräder müssen Cargo-Räder weiter entwickelt und die zügige Versorgung mit Ersatzteilen sichergestellt werden. Sie sollten für einen Dauerbetrieb mit Lasten von bis zu 300 oder 400 Kilo ausgelegt und mit einem Standard, vorzugsweise in Palettengröße für Wechselbehälter ausgerüstet werden. Außerdem ist das innerstädtische Radwegenetz entsprechend anzupassen. Bei einer Lastenrad-Breite von einem Meter kann es sonst eng werden, gerade wenn mehrere Cargobikes unterwegs sind und zusätzlich auf Eltern mit Kindern im Anhänger treffen.
Die Straßenverkehrsordnung sollte am besten mit einer neuen Fahrzeugklasse zukunftsfähig werden. Bei der Leistung der E-Antriebe ist die Branche zum Teil mit gedrosselten Motoren in einer juristischen Grauzone unterwegs.
Bei den Besuchern der Stadt scheint der Vormarsch der E-Lastenräder gut anzukommen. Die Fahrer unterschiedlicher Zustellfirmen berichten von neugierigen Passanten, die die neue Form der Paketzustellung begrüßen.
Über den Autor
Thomas Tjiang ist freier Wirtschafts- und Lokaljournalist und berät Unternehmen bei ihrer Kommunikation. Seit Anfang der 1990er Jahre hat er für alle Medientypen lokal und national gearbeitet. Der Literatur- und Kommunikationswissenschaftler lebt seit über 30 Jahren in Nürnberg.