
Händler sind nicht länger die Versorger der Nation, sondern stehen vor der Herausforderung in einen gesättigten Markt verkaufen zu müssen. Erlebniseinkaufen war das neue Buzzword der letzten Jahre und hat sich vielerorts langsam in die Köpfe eingebrannt. An jeder Ecke bemühen sich Händler, Erlebnisräume auch durch Digitalisierungen zu schaffen, um am Ende vor einem finanziellen Mount Everest zu stehen. Dabei sind sie ausgerüstet mit einem einfachen Seil und einer Spitzhacke. Wer auf schnelle, unüberlegte Schritte und sture Durchsetzungsgewalt setzt, verliert nicht nur schnell die Puste, sondern kommt keinen Millimeter voran. Das ganze Prinzip der Digitalisierung kann nur dann den Weg frei machen, wenn das Gesamtbild betrachtet wird. Händler müssen ein synergetisches System aufbauen, das langfristig und nachhaltig auf der Verkaufsfläche unterstützt. Dabei greifen die Bereiche Backstore, Frontstore und digitales Marketing ineinander. Um das Konzept der synergetischen Digitalisierung zu verstehen, müssen die Kunden im Vordergrund stehen. Und rückwirkend erarbeiten die Händler, welche Technologien am PoS eine effektive Lösung erbringen.
Für jeden erfolgreichen Aufstieg ist die richtige Ausrüstung maßgebend. Dazu gehört der Umschwung zum digitalen Backoffice. Trotz verfügbarer Technologien zur Reduzierung oder vollständiger Vermeidung von Papier halten immer noch über 80% der Unternehmen an veralteten Ablagesystemen fest. Allein drei Prozent des Umsatzes eines Unternehmens geht für Druck- und Ablagevorgänge verloren. Darin sind die Kosten für Papier, Ablage, Versand und Aufbewahrung sind nicht enthalten. Das zeigt deutlich, wie Mitarbeiter die Zeit mit unproduktiven Papierprozessen zwischen den Abteilungen verschwenden, die das Unternehmen viel Geld kosten. Ein Umstieg zum digitalen Backoffice steigert die Effizienz und setzt Ressourcen für neue Arbeitsstrukturen frei.
Eine weitere große Entwicklung, die sich auf internationaler Ebene im Handel herauskristallisiert, ist das Thema rund um Retail Analytics. Schon die diesjährige EuroShop hat gezeigt wie wichtig es für Händler ist, zu wissen wann, wo und wie Kunden ihre Zeit auf der Ladenfläche verbringen. Einfache, datenschutzkonforme Technologien ermöglichen es diese Zählungen vorzunehmen, um die generierten Daten anschließend mit den Informationen aus dem Warenwirtschaftssystem abzugleichen. Damit können Händler eine kundenorientierte Produktplatzierung vornehmen und Erfolgsquoten von Events oder Aktionen kontrollieren. Das bietet nicht nur dem Kunden ein besseres Einkaufserlebnis, sondern minimiert auch unnötige Ausgaben.
Die Frontstore Technologien sollten vor allem auf den Kunden ausgelegt sein und den Faktor Convenience (Bequemlichkeit) in Kombination mit Erlebnis bedienen. Eine Umfrage von bitkom hat ergeben, dass sich von den 1.087 Internetnutzern ab 16 Jahren, 73 Prozent der Deutschen mehr digitale Technologien beim Einkaufen im stationären Handel wünschen. Vorreiter sind da das freie WLAN (40 Prozent), Loyalitäts- und Bonusprogramme (37 Prozent) sowie Echtzeit-Informationen auf Smartphones, die zeigen welche Produkte in einem Geschäft gerade vorrätig sind (35 Prozent). Auch das wachsende Bewusstsein für Nachhaltigkeit führt zu einem gesteigerten Interesse der Kunden an Herstellungs- und Produktionsbedingungen (28 Prozent).
Mithilfe von QR-Codes lassen sich diese Informationen am besten hinterlegen oder sogar mit Augmented Reality Lösungen verbinden. Somit können größere Waren von Kunden über Smartphones visualisiert und direkt nach Hause bestellt werden. Das spart Platz im Laden und bietet eine extra Absicherung für Kunden vor dem Kauf. Gleichzeitig reduzieren sich die Rückgaben durch Fehlkäufe.
Aus Bequemlichkeit gewinnen auch Paymentsysteme, die das kontaktlose Bezahlen ermöglichen, immer mehr Zuspruch. Diese NFC-fähigen POS-Terminals können die ganze Bandbreite an Trägermedien (Smartphone, Smartwatch, Debit- oder Kreditkarte) auslesen. Einzige Voraussetzung ist, dass Bezahlsysteme wie beispielsweise girocard, Mastercard oder Visa im Geschäft akzeptiert werden. Das verschafft den Vorteil eines schnellen, einfachen und hygienischen Bezahlvorgangs und verringert die unbeliebte Wartezeit an der Kasse.
Die dritte Komponente der synergetischen Digitalisierung umfasst das digitale Marketing. Das muss nicht zwangsweise nur im digitalen Raum stattfinden, sondern kann auch offline durch Displaywerbung an öffentlichen Orten geschehen. Da es aber um die Messbarkeit aller Maßnahmen geht, empfiehlt sich eher die Umsetzung im Web. Dabei spielt die Suchmaschinenoptimierung (SEO) der Webseite die wichtigste Rolle. Denn die Onlinepräsenz, die neben dem physischen Geschäft schon lange dringend empfohlen wird, muss auch gut zu finden sein.
Nun besitzt auch heute noch nicht jeder Ladeninhaber eine eigene Webseite, und das ist gut so. Besonders für kleine Einzelhändler, sind Aufwand und Kosten für ein solches Unterfangen komplett kontraproduktiv und ergeben langfristig weder Nutzen noch Gewinn. Jedoch gibt es dafür schon seit einigen Jahren eine einfache Lösung: das Google My Business Profil. Nach einem ähnlichen Prinzip wie Facebook können Inhaber eine Geschäftsseite kostenlos anlegen und ihre Onlinepräsenz regelmäßig mit aktuellen Kurzmeldungen über Produkte und Aktionen stärken.
Die E-Commerce-Software von Shopify bietet eine ebenso elegante Lösung zur Erstellung einer kleinen Webseite. Mit einfachen Einstellungen richten Händler innerhalb weniger Tage einen Onlineshop ein und bieten gleichzeitig über Social-Media-Kanäle Produkte an. Diese einzigartige Social Media Implementierung gibt es in dieser Form bis jetzt nur bei Shopify.
Wer noch einen Schritt weiter gehen möchte, hat über Google Local Inventory sogar die Möglichkeit seine Produkte bei Suchanfragen direkt anzeigen zu lassen. Über 70 Prozent der Einkäufe werden online vorbereitet. Das heißt, der Kunde gibt in das Google Suchfeld seinen Kaufwunsch ein und in der Regel erscheinen in den Suchergebnissen die Onlineangebote der großen Pure Player. Seit gut zwei Jahren bietet Google mit Local Inventory auch kleinen Händlern ohne Onlineshop die Möglichkeit, als lokaler Anbieter zu erscheinen. Genau dann, wenn der potenzielle Kunde einen Kaufwunsch äußert, zeigt man ihm, dass er seinen Wunsch in wenigen hundert Metern Entfernung erfüllen kann. Dafür muss der Händler allerdings ein wenig Zeit investieren und seine Bestände und Preise abgleichen.
Um die synergetische Digitalisierungsmethode erfolgreich umzusetzen, sollten alle drei Aspekte mit individuell ausgewählten Technologien abgedeckt werden. Nur wenn alle Digitalisierungsmaßnahmen aufeinander aufbauen, sind sie sinnvoll eingesetzt. Somit können sich Einzelhändler eine gute Basisausrüstung im Backoffice zurechtlegen und mit den Frontstore Technologien und dem digitalen Marketing eine auf Kunden ausgelegte Roadmap erarbeiten. Dann ist der Weg zum Gipfel geebnet.
Grundlagen schaffen
Kunden erreichen, Kunden binden
Mit den Herausforderungen wachsen
Über die Autorin
Stefanie Otto arbeitet als Junior Projektmanagerin mit Spezialisierung im Bereich Handel und Retail Technology bei der gmvteam GmbH, der Düsseldorfer Innovationsagentur für Handel und Stadtentwicklung. Sie ist zudem Autorin im Blog Zukunft des Einkaufens.